Mit der ganzen Welt im Gespräch: Amateurfunker Rainer Englert aus Alxing erreicht von daheim aus Gleichgesinnte egal, wo sie gerade sind.

Alxing/Nairobi – „QRZ, QRZ, hier ist DF2NU“, ruft Rainer Englert ins Mikrofon. Und dann noch was, das auch der Laie versteht: „Servus Andi!“ Kurz zuvor hat sich das sanfte statische Rauschen, das aus dem Lautsprecher im Keller des 60-jährigen Elektroingenieurs aus Alxing (Gemeinde Bruck) dringt, in ein forderndes Piepsen verwandelt. Englert zupft mit dem Mauszeiger an einem Regler auf einem seiner drei Computerbildschirme, bis aus dem Rauschen eine menschliche Stimme wird. Der Funkkontakt zu Andi nach Nairobi, Kenia, steht.

Rainer Englert, Rufzeichen DF2NU, ist Funkamateur. Davon zeugt eine zehn Meter breite Antenne auf dem Dach seines Holzhauses unweit der Alxinger Kirche. Über Kurz- oder Mikrowelle hat er aus dem holzgetäfelten Kellerraum schon Gleichgesinnte in 188 Staaten erreicht; rund eine Million davon gibt es insgesamt, schätzt er. Rund 35 000 davon in Deutschland. Sie betreiben ein reges Vereinsleben, Wettbewerbe, Treffen, sogar Radiostationen. Und feiern jedes Jahr am 18. April den Welt-Amateurfunktag – heuer am kommenden Ostermontag.

Kontakte bis in die Antarktis

„Ich komme um die ganze Welt“, sagt Englert. Zum Beweis zieht er einen Karteikasten aus dem Regal, an dem sich Postkarte an Postkarte reiht. Es ist ein Ritual, dass Funkamateure beim ersten Kontakt eine solche „QSL-Karte“ austauschen, um die Funkverbindung analog zu dokumentieren. Ein wenig wie ein Eintrag im Poesiealbum, nur dass darauf Frequenz, Zeit und Sendeleistung vermerkt sind.

Rund 40 000 Stück hat sich der Elektroingenieur in 43 Jahren hobbymäßig erfunkt. Karten aus dem Libanon, Brasilien und Vietnam sind darunter – und Englerts Prunkstück: ein Kontakt mit der Neumayer-Forschungsstation in der Antarktis am 1. Weihnachtsfeiertag 2016 – die Karte reiste mit dem berühmten Wissenschaftsschiff „Polarstern“ nach Deutschland.

Unterstützung kommt von einem Satelliten

Diesmal ist es weniger exotisch, aber nur ein bisschen. Auf 10489820,01 Megaherz funkt Rainer Englert mit seinem Spezl Andi Nützel, der seinem Rufzeichen DG4MIC vorübergehend das Ortskürzel 5Z4 vorangestellt hat – der Olchinger (Kreis Fürstenfeldbruck) macht gerade Urlaub in Nairobi, Kenia. Natürlich hat er seine mobile 40-Zentimeter-Satschüssel dabei. Die beiden ratschen ein paar Minuten über das jeweilige Befinden und das Wetter.

Das Signal macht für die 5987 Flugkilometer zwischen Alxing und Nairobi einen Umweg über einen geostationären Satelliten, der in 36 000 Kilometern Erdentfernung schwebt und hauptsächlich Fernsehprogramme in den Nahen Osten strahlt, aber auch – wie laut Englert übrigens 100 weitere Satelliten – ein Amateurfunk-Modul an Bord hat, finanziert aus Vereinsbeiträgen. Die Distanz bedingt trotz Lichtgeschwindigkeit eine Zeitverzögerung von knapp einer halben Sekunde. Leistungsbedarf: etwa vier Watt, ungefähr so viel wie ein altmodisches, dynamogetriebenes Fahrrad-Glühbirnchen.

Old School Social Media

Komfortabler und unkomplizierter als der Austausch von Rufzeichen, die Suche nach Frequenzbändern und das Einstellen analoger Signalfilter wäre Online-Videotelefonie, etwa über Skype. „Wir leben im Zeitalter von Spotify und trotzdem machen manche Leute noch selber Musik“, sagt Rainer Englert dazu. Das Selbermachen und Wissen, wie das mit den Signalwellen und den Tönen funktioniert, macht einen großen Teil des Hobbys aus. In der Bastlerwerkstatt eine Tür weiter, wo sich Lötkolben, Kabel, Transistoren und Messgeräte stapeln, verbringt der Elektroingenieur ungefähr genauso viel Zeit wie an seiner Funkausrüstung, schätzt er.

Der zweite Faktor ist der Mensch. Griffbereit neben dem Funkertisch liegt ein T-Shirt, auf dem steht: „Old School Social Media“. Die Funkamateure haben sich schon vernetzt, lange bevor es Facebook gab. Und unter den Hobbyfunkern herrscht ein gewisses Grundvertrauen, dass einer mit dem Hobby schon in Ordnung ist, egal, ob er aus Alxing, Olching oder Peking kommt. „Ich bin noch nie von jemandem enttäuscht worden“, sagt Rainer Englert. Er erzählt, wie er einmal spontan einen Israeli bei sich beherbergte, der in Deutschland eigentlich nur Geschäftskontakte suchte. Wie ein funkender Arzt aus der Region exklusiv für die Clubmitglieder einen Corona-Impftag organisierte. Wie Freundschaften über Kontinente entstehen und bleiben. Wie er einmal verdattert mit einem 400 000 Euro teuren Messgerät im Kofferraum nach Hause fuhr, das ihm ein anderer Amateurfunker, prominenter Unternehmer, auf Vertrauensbasis gratis eine Zeit lang auslieh. „Ein Gerät, das so viel kostet wie mein Haus“, sagt der Ingenieur.

Vielleicht hat Rainer Englert mit seiner Funkerei sogar Leben gerettet: Zu Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine vermittelte er einem dortigen Funker einen Kontakt in der Slowakei, erzählt er. Die Flucht vor dem Krieg über die Grüne Grenze habe geklappt. „Das macht einer auf Facebook nicht“, sagt der 60-Jährige trocken.

Eins bisschen Fremdsprache

Mittlerweile hat er sich noch von 5Z4/DG4MIC, alias Andi, in Nairobi verabschiedet. „Jetzt machen wir QRT“, ist so ein Funker-Satz, dem internationalen Morsecode entnommen. „QRT“ steht für das Ende des Funkverkehrs, so wie QRZ das Kürzel für „Hier ruft…“ ist. Ein bisschen ist Funken wie eine Fremdsprache, in der man übrigens auch eine Prüfung ablegt. Schließlich muss jeder wissen, wie er vermeidet, andere Funkdienste etwa von Luftfahrt oder Polizei zu stören, bevor ihm die Frequenzbänder dieser Welt dank eines Zertifikats der Bundesnetzagentur offen stehen.

Für heute ist genug gefunkt. Rainer Englert fährt seine Station herunter, in die er über die Jahrzehnte geschätzte 40 000 Euro und ungezählte Arbeitsstunden investiert hat. Er muss weg, ist beschäftigt. Im Funker-Code heißt das QRL.

Quelle: Merkur.de